Grubengeschichte X

Glück auf!

Und da bringt sich die Erinnerung wieder ein. So singt man eigentlich nicht und genau deswegen hat sich der Beginn dieses Liedes, dieser LP, so tief festgesetzt. „Tief im Westen“, der Beginn von „Bochum“ auf Herbert Grönemeyers schwarzer Venylscheibe, die noch im Keller steht und den ich mir Dank dieses Mediums, in dem ich hier schreibe, noch einmal live ansehen konnte. Damals, als die Welt noch Schwarz-Weiß war und der Westen keine 15 Kilometer östlich von hier begann und Berlin eine Insel war.

1984 war das und nun 25 Jahre später wird die „Grubengeschichte“ mit diesen Zeilen zuende gehen. Nicht mit den bekannten Zeilen „und wenn sie nicht gestorben sind….“, sondern mit dem Wissen, dass die Grundlage, die zum Beginn dieser Geschichte führte, eine positive Entwicklung genommen hat, so dass das nächste Jahr die Umsetzung erfolgen wird.

Für mich gilt es noch die fehlenden Koordinaten nachzuliefern, was hiermit erledigt ist.

Die Grube befindet sich auf 52°25’25,89″ nördlicher Breite und 10°46’56,50″ östlicher Länge.

Wie es weiter geht, werde ich zu gegebener Zeit hier berichten. 

„wer wohnt denn schon in Düsseldorf“

Grubengeschichte IX

Das Licht am Horizont blendet mich, ich schließe die Augen und sitze unversehens wieder an dem Tisch, an dem ich vor einigen Tagen gesessen habe. Vor mir ist das Modell aufgebaut. Die Masse der Stühle liegt derweil noch im Atelier und würde die Dimension sprengen, wenn deren Maßstab nicht mit 1 zu 50 auf ein ansprechendes Maß geschrumpft wäre.

Um den Tisch verteilt die Mitspieler und diejenigen, die es gilt zu überzeugen.

Die Sternschnuppe, die ich an diesem Morgen gesehen habe, hat das positive Gefühl mit in den Raum getragen. Nun noch die Bilder in die richtige Reihenfolge bringen und in Worte transferieren. Am Ende des Redens steht das erträumte JA und wenn ein Termin gefunden ist, gibt es kein zurück mehr.

So richtig habe ich es noch nicht realisiert und glauben kann ich es erst, wenn wir das nächste Mal um diesen Tisch sitzen und die Termine stehen.

Die Grube füllt sich. Ich öffne die Augen.

Grubengeschichte VIII

An der Nord-, wie auch an der Südseite der Grube befinden sich Erhöhungen, von denen ein uneingeschränkter Blick hinein gewährleistet ist. Ich habe die Südseite erklommen und aus einem leichten Überhang blicke ich in die Fläche, die glänzt und spiegelt, die sich den Konturen der Grube angepasst hat.

Die Gedanken schweifen zu dem Modell, dass in perfekter Weise diese vor mir liegenden Konturen nachbildet. Ich werde es auf dem Arbeitstisch drehen müssen, damit ich genau diese, jetzt vor mir liegende Blickachse „nachsehen“ kann.

Das Bild des Modells überlagert die Realität. Ich sehe, wie sich die Fläche langsam von Norden her füllt. Dunkelheit bricht herein. Ein Lichtkegel wandert über die wogende Fläche, wirft Schatten. Von unten ist leicht der Geruch von feuchter Erde wahrnehmbar. Die Welt um mich herum hat sich aufgelöst, lässt mich ruhig sitzen.

Schlafwandler wollen nicht geweckt werden.

John Lennon säuselt mir ins Ohr, ich sei nicht der einzige Träumer. Gerne glaube ich ihm, verharre und spiele den Tropfen, der den Stein höhlt, damit diese Grube sich dem Modell angleichen kann.

Grubengeschichte VII

Während ich mir den salzigen Geschmack von der Oberlippe lecke, starre ich unverwandt in den Himmel, in die Richtung aus der ich hoffe, dass sich die Wolkentürme im Laufe der Zeit, die ich hier mitten auf dem abgeernteten Feld stehe, die nackten Fußsohlen von den Resthalmen der Kornstängel aufgespiesst, auftürmen und mich mit einer Flut kühlender Nässe umströmen.

Die Stille, die überall herrscht ist der Hitze geschuldet, die auf der Stadt lastet und die sich die Menschen wieder wünschen, wenn der Regen nach drei Tagen nicht aufgehört hat und die feuchte Kälte sich festsetzt.

Mir fällt Tamara Danz ein, die eine andere Flut besang, doch wunderschön: 

Flut, bitte komm, Flut
kühl mich, spül mir das Salz von der Haut.
Flut, bitte komm, Flut
nimm mich mit, trag mich hier raus. 

Mit hölzernem Getöse ergießt es sich in die Grube, sie läuft voll, die Wellen rauschen an den Strand, darüber hinaus, in einem irrsinnigen Strudel verschwindet der ganze Spuk als wäre es nie passiert.

Am Rand der Grube stehend deutet nichts mehr darauf hin. Alles glänzt, alles ist sauber und von irgendwoher ist noch ein Stück Musik zu hören….Flut….

Grubengeschichte VI

„Baust du dir etwa einen Sarg?“

Etwas ungläubig habe ich auf diese Frage sicherlich geschaut. Dann der Blick auf mein fertiggestelltes Schiff, das auf der Schräge des Grubenmodells platziert ist.

Ich gebe ja zu, ein wenig abstrakt wirkt das Ganze sicherlich, dafür erhebt das Modell auch keinen Anspruch auf ein reales Abbild. Wenn die Realität sich durchgerungen hat Realität zu sein, dann schwimmt es in der gefluteten Grube in entsprechender Größe. Und wenn dazu Peter Gabriel mit „Here comes the flood“ die Ohren auffordert, die Schallwellen seiner Musik über das Rauschen in der Grube zu legen, dann wird die Eingangsfrage, auch ohne beantwortet zu sein, keine Bedeutung mehr haben.  

Grube Schiff

Grubengeschichte V

Aus geeigneter Entfernung betrachtet und wenn ich mir vor Augen führe, dass selbst erfahrene Landvermesser dafür gesorgt haben, dass Autobahnen nicht zueinander gefunden haben, ist mein kleiner Zahlenfehler aus der Grubengeschichte II leicht zu verschmerzen. Zumal der Fehler schon auf einen Teil des Breitengrad hingewiesen hat, auf dem die Grube tatsächlich existiert.

Der Fehler hat die Suchenden ca. 25 km in westlicher Richtung suchen lassen. Danke an den einen, der mich informiert hat, da er auf diesem falsch angegebenen Längengrad keine Grube finden konnte, die nicht schon vollgelaufen war, als Badetümpel oder Fischteich diente und zu gegebener Tageszeit als Startplatz riesiger Mückenschwärme.

Der Fehler ist korrigiert, der fehlerhafte Wert überschrieben und in der Grubengeschichte II steht jetzt der richtige Längengrad, der direkt durch die Grube führt, von der hier berichtet wird.

Mit etwas Spitzfindigkeit ausgestattet, könnte ich mich mit diesen Geschichten jetzt selbst in Frage stellen, da Geschichten gewöhnlich mit den Worten „es war einmal“ beginnen und das Ende auch jedem, aus seiner eigenen Kindheit bekannt, sein sollte.

Grubengeschichte IV

Ich fühle mich in das Jahr 1977 zurück versetzt. In diesem Jahr kam Steven Spielbergs Science Fiction Film „Unheimliche Begegnung der dritten Art“ in die Kinos. 

Darin hat der Elektriker Roy Neary nach einer Begegnung mit einem UFO an einem Bahnübergang, die Vorstellung einen Berg nachbauen zu müssen. Dieser Berg entpuppt sich im Verlauf  der Geschichte als der Devil’s Tower in Wyoming, an dem es zu einer friedlichen Begegnung mit Ausserirdischen kommt.

Bei seiner Besessenheit den Berg, den er erst nur als Vision vor seinem geistigen Auge hat, in seinem Wohnzimmer nachzubauen, wird er von seiner Familie vorsichtshalber verlassen. Zur Baumaterialbeschaffung verwüstete er zuvor noch den eigenen Garten und auch den der Nachbarn.

Meine eigene Besessenheit konzentriert sich nun ebenfalls auf einen Nachbau. Es ist, nachdem ich die Maße in den Händen halte, eben diese Grube, die seit einigen Tagen vermehrt meine Gedankenwelt erfüllt. Für den Ort des Nachbaus muss mein Atelier herhalten, so dass die Gefahr des Verlassenwerdens geringer anzusehen ist. 

Doch alles notwendige Material ist noch nicht beschafft.

Grubengeschichte III

Wie eine Schatzkarte halte ich die Zeichnung mit den Maßen eben dieser Grube in der Hand. Und gleich der Scheinriesen bei Jim Knopf und Lukas dem Lokomotivführer in Michael Endes Geschichte, wird die Grube in der Entfernung immer größer. Das ist aus der zeitlichen Entfernung, die mich dieses Erdloch nun schon begleitet, nicht verwunderlich. Denn auch die Truhe meiner Großeltern ist im Laufe meines eigenen, körperlichen Wachstums recht klein geworden, so dass ich mich nun niederknieen muss, um sie zu öffnen, wo ich doch früher hinaufsteigen konnte und die Beine nicht auf den Boden reichten.

Ich bin mir sicher, dass die Grube sich in meinen Denken über die nächsten Wochen ebenfalls einen größeren Raum sichern wird. Wollte ich dieses verhindern, bliebe immer noch die Möglichkeit, sie am Ende zu verfüllen. 

Bei einer Grundfläche von 400 Quadratmetern und einer maximalen Tiefe von 4 Metern, bräuchte ich schon eine ansehnliche Anzahl von Glasmurmeln, so dass ich diese Möglichkeit lieber gleich wieder verwerfe.

Grubengeschichte II

Auf der Suche nach der genauen Bemaßung der Grube, lese ich in der Zeitung über einen musikalischen Abend, der sich in eben diesem trockenen Erdloch ereignet hat, nicht in der klassischen Strandromantik um das Lagerfeuer verteilt, bei der die Musiker inmitten des, das Feuer umflutenden Kreises sitzen. Nein, es entsprach eher der klassischen Aufführungspraxis, in der die Musiker, auf eine Decke gestellt, sich gegenüber einem bestuhlten Publikum sehen, wenn sie sich sehen könnten, so wie es dem Fotografen gelang.

Ach und wer es nicht glaubt, dieses Loch existiert wirklich. Zu finden ist es exakt auf dem östlichen Längengrad mit der Bezeichung 10°46’56,50“.

Grubengeschichte I

Wann mir die Grube zum ersten Mal bewußt wurde, kann ich nicht sagen. Irgendwie war sie schon immer da. Gefüllt mit kühlem, klaren Wasser. Menschen am Rand rufen den Schwimmern Anfeuerungen zu, rufen die Kinder aus dem Wasser, die wie immer nicht hinaus wollen.

Gegenwärtig wird mir der Onkel, der eigentlich der Bruder der Großmutter war, also mein Großonkel. Der aber immer der Onkel blieb, der sich im hohen Alter noch von dem Turm stürzte. Der jetzt nicht mehr da ist, der Onkel, doch der Turm, der steht noch. Dafür ist das Wasser weg und wenn ich mich jetzt von dem Turm stürzen würde, wäre ich wahrscheinlich auch nicht mehr da.

Nun füllt sich diese Grube wieder mit einem Seestück. Langsam wird es Realität, höre fast schon das Rauschen der Brandung, die sich auf den Strand stürzt. Draußen klatscht der Regen an die hohen Fenster und zeigt sich die Sonne, zaubert sie seltsame, nie gesehene Schatten in die Wellen. In der Nacht, da gleitet das Licht des Turms über das Rauschen. Die Schatten wechseln die Seite auf den gefrorenen Wellen und wünschen sich ein Staunen herbei.